#111 "The Lady of Musashino" (1951)

Am westlichen Rand des Bezirks Tokyo liegt die Stadt Musashino. Heute bekannt für das Ghibli-Museum war es 1951 ein beschaulicher Rückzugsort für die Stadtbevölkerung, eingebettet in Felder und unberührte Natur. Viele Tokyoter flohen dorthin, um vor den Bombardements der Amerikaner Schutz zu suchen. Michiko ist Teil dieser Diaspora und hat das Glück im ländlichen Elternhaus ein neues Leben beginnen zu können. Nach dem Tod der Eltern erbt sie das Haus, in dem sie mit ihrem Mann Akiyama und in direkter Nachbarschaft zu ihrem Cousin Eijo und dessen Frau lebt.

Der verlorene Krieg und die Modernisierung des Landes führen zu Beginn der 50er-Jahre zu einer Zeitenwende, die sich in Kenji Mizoguchis Figuren wiederspiegelt. In einer positiv post-apokalyptischen Atmosphäre verwerfen sich Tradition und Politik im Strudel der Urbanisierung und der moralischen Verwestlichung Japans. Dabei zeigen sich sowohl soziale Spannungen als auch der Konflikt zwischen Pflichtbewusstsein und eigenem Verlangen - konkret manifestiert in der Liebesbeziehung zwischen Michiko und ihrem zweiten Cousin Tsutomu, der nach Jahren der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und Michikos gefühlskalte Ehe mit Akiyama durcheinanderbringt. Eine Reihe verbotener Romanzen und Akiyamas Versuch Michikos Erbe zu verkaufen um mit Eijos Frau durchzubrennen, stellen Michiko vor eine folgenschwere Entscheidung.

Ungewöhnlich konservativ stellt Mizoguchi den Wandel hin zu einer Gesellschaft, in der Frauen mehr Freiheiten bekommen als negativ dar. Die jahrhundertelange Tradition durchbricht Michiko indem sie eine Affäre beginnt, ihre Ehe riskiert und im Freitod die einzige Möglichkeit sieht ihr Erbe zu bewahren. Opfer oder Selbstermächtigung? Das bleibt im Auge des Betrachters.


Gespickt mit Seifenoperndramatik und einer episodenhaften Narration, die sprunghaft von einem Ereignis zum nächsten wechselt, ist auch das hohe Tempo des Films untypisch für die Zeit. Das Thema der unerfüllten Liebe bleibt aber eines von Mizoguchis Kernthemen. Anders als im Vorgängerfilm "Miss Oyu" (1951) besteht die Beziehung nicht weil die Frau zu schwach wäre die Beziehung zu beenden, sondern weil sie zu starke Ideale hat, die sie davon abhalten ihren wahren Gefühlen nachzugehen. Michikos Glaube an (alte) Werte und Treue sind letztendlich ihr Untergang.

Gespielt wird Michiko von Kinuyo Tanaka, der selbst eine Affäre mit Kenji Mizoguchi nachgesagt wurde und in 15 seiner Filme zu sehen war. 1953 lieferte sie mit "Love Letter" ihr Regiedebüt ab und verewigte sich damit, nach Sakane Tazuko, als die zweite weibliche Regisseurin Japans.

"Lady of Musashino" ist sicherlich nicht Mizoguchis Meisterstück. Deutlich politischer als andere Filmemacher seiner Zeit weist das Werk aber auf die bekannten Spätwerke "Ugetsu" (1953) und "Sansho Dayu" (1954) hin und stellt damit eine von vielen Transferphasen dar, die Mizoguchi im Laufe seiner Karriere, insbesondere nach dem Krieg, vollzog.

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