#108 "Mio on the Shore" (2019)

Mio wächst als Waisenkind bei ihrer Oma in Nagano auf. Als diese krank wird, beginnt das junge Mädchen, gespielt von Honoka Matsumoto ("After the Rain" 2018), ein neues Leben in Tokyo und arbeitet im Badehaus bei einem Freund ihres verstorbenen Vaters. Der Film zeigt die Integration des Dorfkindes in die urbane Community und die damit verbundene Suche des Hauptcharakters nach ihrer Bestimmung im Leben.

Ryutaro Nakagawas Coming-of-age Film kommt ohne viel Drama aus. Erfrischende Kamera und cooler Look bieten viel fürs Auge. Jede Einstellung wirkt wie ein Gemälde. Die wenigen Nahaufnahmen verhindern eine gekünstelte Überemotionalisierung und fangen durch ihre Distanziertheit die wunderschönen Straßenzüge und Interiors so ein, dass ein stimmungsvolles und leicht nostalgisches Porträt des Lebensraums Tokyo entsteht. Die Szenen der ländlichen Heimat sind u. a. mit Drohnen aufgenommen und erinnern an andere aktuelle Produktionen (z. B. "Takatsu River" 2019), die aber den Gegensatz zwischen Stadt und Land noch mehr in den Fokus stellen.

Die unaufgeregte Erzählung ist nicht langatmig und verzichtet auf typische Spielarten des "Fish out of the water"-Szenarios wie zum Beispiel billige Gags oder quirky characters. Ein gutes pacing, stimmige Musik und überzeugende Schauspieler unterstreichen die Natürlichkeit des Films.


"Mio on the Shore" stellt das Gemeinschaftsgefühl in den Fokus. Die Großstadt Tokyo wirkt wie ein Dorf, in dem auch Minderheiten integriert sind. Mios traurige Vergangenheit trübt die Stimmung des Wohlfühlfilms nicht. Regisseur Nakagawa instrumentalisiert ihre Backstory nicht und beweist, dass man mit Trauer auch positiv umgehen kann, ohne sich darin zu verlieren.

Am Ende gelingt dem Film noch ein überraschender Tempowechsel, in dem er auf die Insolvenzen kleiner Familienbetriebe im Viertel aufmerksam macht und die Bewohner zu Wort kommen lässt. Dieser Übergang macht sich auch im Filmstil bemerkbar, der im Zuge einer präsentierten Feldstudie fast schon ins Dokumentarische übergeht. Mios Schlussmonolog und die Verwendung von Handkamera verbinden die neue soziopolitische Message mit einem essayistischen Unterton, der Naomi Kawase sehr nahe kommt.

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