#106 "Take Care Red Riding Hood" (1970)

Bevor Shiro Moritani mit "Submersion of Japan" (1973) und "Mount Hakkoda" (1977) große Kinoerfolge einfuhr, drehte er 1970 für Toho die Gegenantwort auf die kontroversen Studentenfilme von ATG und der Japanese New Wave. Zu einem Zeitpunkt an dem die 68er-Bewegung und die Studentenproteste in Japan ihr Momentum verloren, zeigt "Take Care Red Riding Hood" einen jungen Mann, der auf Grund seiner konservativen Lebenseinstellung in innere und äußere Konflikte verwickelt wird.

Kaoru steht kurz vor dem High School Abschluss und vor der Entscheidung ob und welche Universität er besuchen soll. Er kommt aus gutem Hause und seine beiden älteren Brüder sind bereits an der Tokyo Universität und studieren Jura. Kaoru will es ihnen nachtun.

Der Film beginnt mit Nachrichtenausschnitten von der Besetzung der Tokyo Universität. Studentengruppen barrkadierten sich in der Elite Einrichtung für mehrere Monate bis die Polizei schließlich gewaltsam durchgriff. Kaoru betrachtet diese Dinge objektiv, versteht den neuen Lebensstil, der vom Westen geprägt ist, nicht und findet dadurch keinen Anschluss. Von Anfang sehen wir ihn als verletzten Charakter.

In inneren Monologen erfahren wir von seiner Enttäuschung ausgelöst von der Ablehnung seiner Geliebten und den Veränderungen, die um ihn herum passieren. Kaorus Frustration wächst. Denn gleichzeitig merkt er, dass der Weg der Eliten ihm ebenfalls nicht zusagt. "Take Care Red Riding Hood" entlarvt in einer Szene mit dem Jura Professor die Art und Weise, wie die gesellschaftliche Führungsriege rekrutiert und manipuliert wird. Das Aufgeben von Idealen ist ein Teil davon. In poetischer Nüchternheit strahlt der Film die Melancholie des Darstellers aus, der uns ein Bild aus Erinnerungen, neurotischen Reflexionen und Wahnvorstellungen vorgibt. Moritani nutzt subjektive Erzähltechniken und setzt auf eine starke Identifikation mit der Hauptfigur.


Kaorus messerscharfe Analysen machen den Film interessant. Gefangen in Tagträumereien und getrieben von übersprudelnden Hormonen beschreibt er den Hedonismus und die politisch-soziale Unsicherheit, die von Vielen mit leeren Parolen kaschiert wird. Doch Kaoru durchschaut die Phrasen und leidet zugleich unter der Erkenntnis es damit keinem Recht machen zu können. Weder seinen Eltern, die von ihm erwarten auf die Uni zu gehen, noch seinen Freunden, die das Establishment ablehnen. Diese Position des Außenseiters ermöglicht ihm einen ungetrübten Blick.

Der Film entwickelt sich von einer psychologischen Charakterstudie zu einem sozialen Kommentar über die Propaganda der Studentenbewegung. Der unentschlossene Kaoru, emotional und körperlich geschwächt, fungiert als Beobachter. "Take Care Red Riding Hood" braucht dazu keinen Zynismus, sondern verlässt sich auf einen apathischen Protagonisten, gespielt von Yusuke Okada, der in einem emotionalen Höhepunkt überraschend aus der kühlen Schale ausbricht.

Auch auf der Inszenierungsebene zieht Moritani gegen Ende hin alle Register. Experimentelle Soundkulissen und exzentrische Kameraaufnahmen münden in einem berührenden Finale. Im Vergleich zu den Werken von Oshima oder Wakamatsu symbolisiert "Take Care Red Riding Hood" das Gegengewicht hinter dem mit Toho eine konservative Produktionsfirma steht. Umso erstaunlicher ist es, dass der Film weniger tendenziell und stellenweise sogar wie eine authentische Dokumentation über die beginnenden 70er-Jahre in Japan wirkt.

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