#112 "Naomi" (1966)

Yojiro Takita gewinnt 2008 den Oscar für das Bestattungsdrama "Departures". Sprung zurück ins Jahr 1985. "Molester Train: 1 Centimeter from the Wall" erscheint und startet eine berüchtigte 25-teilige Filmreihe.

28-facher Preisträger der Japanese Academy Awards, Takahisa Zeze, gewinnt 2011 mit "Heaven’s Story" gleich zwei Preise auf der Berlinale. 1986 macht er mit "Exciting Eros: Hot Skin" seine ersten Gehversuche als Regisseur.

Was haben diese beiden Kultfiguren des japanischen Kinos gemeinsam? Sie beide hatten den selben Mentor, Kan Mukai, der ihnen den Einstieg in die Filmbranche ermöglichte. Die Erotikfilme der von ihm gegründeten Produktionsfirma Shi Shi Pro waren Spielwiese und Trainingsstätte für eine ganze Generation von Regisseuren, Autoren und Kameramännern, die bis heute einen enormen Einfluss auf die akademische und künstlerische Filmwelt Japans haben.

Zum Höhepunkt der ersten Pinku-Welle, 1965, sprießen die billig produzierten Softpornos aus dem Boden. Koji Wakamatsu gründet Wakamatsu Pro und auch Kan Mukai entscheidet sich für den Schritt in die Unabhängigkeit, um seine idealistischen Werte ohne fremden Einfluss zeigen zu können. Im Schatten von Wakamatsu sind die meisten seiner Filme bei uns leider unbekannt, teilweise verschollen und so gut wie nicht thematisiert. Dabei ist sein Einfluss, insbesondere durch die Förderung der vier Regisseure Hisayasu Sato, Kazuhiro Sano, Toshiki Sato und Takahisa Zeze, die sogenannten "Four Heavenly Kings of Pink", mindestens genauso groß. Umso wichtiger, dass Rapid Eye Movies jetzt einen seiner aufregendsten Filme nach Deutschland bringt.

Billig produziert, aber hochstilisiert präsentiert sich Mukais "Naomi" aus dem Jahr 1966. Weniger schrill und ohne die psychedelischen Effekte späterer Filme wie beispielsweise "Blue Film Women" (1969) erzählt Mukai die Geschehnisse einer Nacht zwischen dem gefallenen Boxer Eriguchi und der Prostituierten Naomi. In Rückblenden tut sich ein existenzielles Drama auf, das Anleihen sowohl bei der Japanese Nouvelle Vague als auch beim Film-Noir nimmt. Anders als bei genregleichen Produktionen, treten Politik und Erotik dabei eher in den Hintergrund. Die Sexszenen sind dem Anlass entsprechend Teil des Programms, aber weniger explizit und ausschweifend als gewohnt.

Auf 75 Minuten komprimiert erfährt man vom geschundenen Seelenleben des ehemaligen Champions, dessen sportliche Niederlagen sich negativ auf seine Libido ausgewirkt haben und zudem einer verflossenen Liebe nachtrauert. Das Zusammentreffen mit Naomi, die ebenfalls von einem sexuellen Trauma geprägt ist, gibt ihm neues Selbstvertrauen und Leidenschaft. Doch auf tragische Art und Weise lernt Eriguchi, dass er Naomi nicht für sich alleine haben kann.

In "Naomi" zeigt sich Kan Mukais Gespür für Atmosphäre und technische Raffinesse. Dank einer ausgezeichneten Bildkonstruktion, unterstützt vom kompromisslosen Schwarz-Weiß Kontrast, werden die Darsteller Shusaku Muto ("Women Hell Song", 1970), Kazuko Kano ("Secrets Behind the Wall", 1965) und Kaoru Miya ("Gushing Prayer", 1971) perfekt in Szene gesetzt und der jazzige Soundtrack vermittelt das neue westliche Lebensgefühl der japanischen Jugend zur damaligen Zeit.

In der Tradition späterer Boxfilme wie Tsukamotos "Tokyo Fist" (1995) oder Terayamas "Boxer" (1977) spielt das Thema Maskulinität eine wichtige Rolle. Unter dem Deckmantel des Schmuddelfilms, gelingt es Mukai ein ernsthaftes Drama mit tiefgründigen Charakteren zu entwickeln. Auch wenn die gewalttätigen Handlungen des Hauptcharakters sicherlich fragwürdig sind und die erwartete Sympathie, die beim Publikum für ihn erzeugt werden soll, schmälern, stellt "Naomi" durch die Darstellung von Hypermaskulinität, Fragilität und Toxizität althergebrachte Rollenbilder in Frage. Spannend ist dabei auch, wie Psychologie mit Sexualität und dem körperlichen Aspekt des Boxens in Zusammenhang gebracht wird. Sexuelle Gewalt und Manipulation richten sich am Ende gegen den Protagonisten selbst und erzeugen so auf narrativer Ebene einen düsteren, humanistischen, aber in erster Linien höchst ambivalenten Film.

Im Zuge der ZEITLOS-Filmreihe bringt Rapid Eye Movies die deutsche Synchronfassung von "Naomi" bundesweit ab dem 21. September in die Kinos.

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